Vorbemerkung
Die Entwicklung der Netzentgelte bereitet dem energieintensiven industriellen Mittelstand große Sorgen. Es haben bereits in kurzer Zeit deutliche Erhöhungen der Netzentgelte stattgefunden und der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Umstieg von fossilen Brennstoffen auf Strom-nutzung, die steigende Integration volatiler Erzeugung mit entsprechend einzubindenden Speicherkapazitäten und notwendige Redispatchmaßnahmen lassen sinkende Netzentgelte in Zukunft nicht erwarten. Im Gegenteil werden sich die Systemkosten des Umbaus der Energieversorgung hin zur Klimaneutralität vor allem in den Netzentgelten deutlich widerspiegeln.
Die im Eckpunktepapier der Bundesnetzagentur angekündigte Fortentwicklung fokussiert sehr stark auf verbraucherseitiges systemdienliches Verhalten, was dynamische Reaktionen durch stromintensive Industriebetriebe auf die aktuelle Erzeugungssituation bedeuten soll.
Als Vertreter des industriellen Mittelstandes möchten wir beim systemdienlichen Verhalten auf die technischen, rechtlichen und organisatorischen Restriktionen gerade kleiner und mittelständischer Unternehmen hinweisen. Die von uns vertretenen Branchen sind auf international wettbewerbsfähige Stromkosten – und damit auch Netzentgelte – angewiesen und benötigen Planungssicherheit, um weitere Produktionsabwanderungen zu verhindern.
Dabei gilt, dass für die meisten Unternehmen des industriellen Mittelstands insbesondere die bisherige Entlastungsmöglichkeit bei atypischer Netznutzung von großer Bedeutung ist. Aber auch die Entlastung der sog. Bandabnahme ist für die betroffenen Unternehmen von hoher Wichtigkeit.
Wenn netzdienliches oder am Stromdargebot orientiertes Verhalten aber in Zukunft alleiniger Maßstab für eine Senkung der Netzentgelte sein soll, dann wird die Kostenlast den Mittelstand mit voller Wucht treffen.
Wesentliche Punkte
- Strompreise inklusive der Netzentgelte haben eine sehr hohe Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Diese Bedeutung wird angesichts der Trans-formation hin zur klimaneutralen Produktion und des damit verbundenen Anstiegs beim Stromverbrauch noch deutlich zunehmen.
- Der bereits erfolgte und weiterhin drohende Anstieg der Netzentgelte ist dabei schon heute ein hemmender Faktor für Investitionen, die einen geringeren Verbrauch fossiler Brennstoffe und einen Mehrverbrauch von Strom mit sich bringen. Reduktionsmöglichkeiten hingegen sind dann fördernd, wenn sie langfristig und planbar sind.
- Zudem ist die aktuelle wirtschaftliche Lage im energieintensiven Mittelstand so angespannt, dass jede weitere Kostensteigerung eine unmittelbare Gefährdung für viele Unternehmen bedeuten würde.
- Grundsätzlich ist deshalb schwer nachvollziehbar, warum die Regelungen der StromNEV, die eigentlich bis 2028 Geltung haben, bereits jetzt reformiert werden sollen.
- Das Gleiche gilt für die Reihenfolge, in der sich die Reformen jetzt vollziehen sollen. Nach unserer Einschätzung wäre es sachdienlich, zunächst die Finanzierung des unbedingt not-wendigen Netzausbaus zu regeln, denn daraus folgt unmittelbar auch die Kostenlast der Verbraucher. Daran anschließend wäre die angekündigte Reform der Netzentgeltsystematik sinnvoll. Die Ausnahmen von dieser Netzentgeltregel wären nach unserer Ansicht an letzter Stelle zu regeln.
- Zumindest sollten die Übergangsregelungen, wie sie angekündigt sind, langfristig und möglichst über das Jahr 2030 hinaus ausgelegt sein, um die betroffenen Unternehmen nicht wirtschaftlich zu überfordern. Gleichzeitig könnte ein Hochlauf systemdienlicher Flexibilitätsanreize starten.
- Wir begrüßen ausdrücklich, dass eine Überforderung der Letztverbraucher vermieden werden soll und empfehlen eine enge Koordinierung zwischen Bundesnetzagentur und Bundesregierung, um neben netzorientierten Argumenten auch industriepolitische Erwägungen in die Neuregelungen einfließen zu lassen. Auch Unternehmen, die kein oder kein ausreichendes Flexibilisierungspotential haben, werden auf Entlastungen beim Strompreis angewiesen sein.
- Wir weisen auch darauf hin, dass die Verbände aufgrund der großen Heterogenität der Unternehmen nur allgemeine Antworten geben können. Wir empfehlen eine gesonderte Ab-frage unter betroffenen Industrieunternehmen mit einem ausreichenden zeitlichen Vorlauf.
Konkret zur atypischen Netznutzung im Sinne des § 19 Abs. 2 S. 1 StromNEV
- Netzdienliches Verhalten bedeutet bisher, die vertragliche Zusage einzuhalten, die Lastspitzen verlässlich außerhalb der Hochlastzeitfenster stattfinden zu lassen. Nur dann kann das Netzentgelt abgesenkt werden. Dabei hat die Vergangenheit gezeigt, dass selbst eine einmalige und nur kurze Abweichung zum Entfall der Ermäßigung für den gesamten Abrechnungs-zeitraum geführt hat. Dieses sehr hohe Risiko für die Netznutzer sollte dringend kritisch hinterfragt werden. Besonders kritisch wird es für die Produktionsprozesse, wenn die Zeiten niedriger Lasten vor allem am Tage relativ kurz sind, d. h. eine Stunde oder weniger betragen.
- Langfristige Vorhersagen der Hochlastzeitfenster durch den Netzbetreiber für ein ganzes Jahr werden zunehmend nicht mehr stattfinden können. Kürzere, etwa wöchentliche Vorhersagezeiträume dürften die Steuerung der Produktionsprozesse in den Betrieben regelmäßig überfordern. Ein mittelständischer Betrieb wird mindestens halbjährliche Festlegungen für seine Produktionsplanung brauchen.
- Gleiches gilt für die Festlegung von mehr als zwei Hochlastzeitfenstern, da die Produktionsplanung in vielen Betrieben dann regelmäßig an ihre Grenzen stößt und die atypische Netz-nutzung schlicht keinen Sinn mehr machen würde. Restriktionen bestehen hier etwa durch den Personaleinsatz (v. a. durch die einschlägigen Arbeitszeitenregelungen) oder entgegenstehende Betriebsgenehmigungen (z. B. Produktion im Nachtzeitraum im Hinblick auf Lärm- und Nachbarschutz nicht erlaubt). Auch die Effizienz der Produktion, die Qualität der Produkte, die Energieeffizienz, der verschleißarme Betrieb und die Auslastung kapitalintensiver Anlagen leiden regelmäßig unter einer diskontinuierlichen Fahrweise. Zudem müssen Unternehmen gegenüber ihren Kunden Lieferverpflichtungen mit entsprechenden Fristen einhalten, die bei Produktionsschwankungen evtl. nicht mehr eingehalten werden können. Fraglich ist damit schon, ob die Entlastung der Unternehmen durch geringere Netzentgelte die Mehrkosten durch die schwankende Produktionsweise aufwiegen kann.
- Zudem existieren in vielen Betrieben relevante Stromverbraucher (Absaugungen, Warmhalteaggregate, Kühlungen etc.), deren Einsatz technisch und auch aus rechtlicher Sicht (Umweltauflagen etc.) kontinuierlich erfolgen muss.
Die Flexibilisierungspotentiale sind gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen daher so eingeschränkt, dass schon in der Vergangenheit nur wenige Unternehmen in der Lage waren, die Voraussetzungen der atypischen Netznutzung zu erfüllen. Darüber hinaus gehende Flexibilisierungsanforderungen werden auch diese Unternehmen aus der Teilnahme an neuen Flexibilitätsinstrumenten herausdrängen.
Es bleibt festzuhalten, dass eine Anpassung der Produktionsfahrweise der Unternehmen an das Stromdargebot durch die fluktuierenden erneuerbaren Energien deutlich über die bisherigen Anforderungen für die Entlastung bei atypischer Netznutzung hinaus gehen würde. Damit wäre diese Entlastungsmöglichkeit für die meisten mittelständischen Industrieunternehmen nicht mehr nutzbar.
In Bezug auf die stabile Bandlast nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV:
- Bereits die bisherigen Voraussetzungen für individuelle Netzentgelte für eine stabile Bandlast nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV („7 000-Stunden-Regel“) sind ambitioniert und werden zumeist nur von Unternehmen erreicht, deren Produktionsprozesse eine kontinuierliche Fahrweise der Produktionsanlagen zwingend erfordern. Dazu zählen bspw. thermische Prozesse. Bereits im Rahmen von Konjunkturschwankungen erreichen diese Unternehmen teilweise die 7 000 Laststunden p. a. im Status quo nicht mehr zuverlässig, sodass für die Unternehmen beim Verfehlen der Laststundenzahl das Risiko besteht, die regulären Netzentgelte in voller Höhe tragen zu müssen (Prinzip „Alles oder nichts“).
- Produktionsanlagen sind teilweise auf eine kontinuierliche Fahrweise, idealerweise 24/7, technisch angewiesen. Wenn diese Anlagen in Zukunft mit dem Ziel der „Systemdienlichkeit“ für den Netzbetrieb in Abhängigkeit von Windaufkommen und Sonnenstunden betrieben werden sollen, würde das die Energieeffizienz der Unternehmen dramatisch verschlechtern. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wäre im Vergleich zu anderen Produktionsstandorten in der EU nicht mehr gegeben.
- Die Errichtung großer Stromspeicher zur Deckung des Strombedarfs der Produktionsstandorte während der „Dunkelflaute“ stellt für die betroffenen Unternehmen aufgrund der hohen Investitionskosten bisher keine betriebswirtschaftlich sinnvolle Alternative dar. Zudem schließt die BNetzA dieses Szenario in ihrem Eckpunktepapier aus.
Auch im Rahmen dieser Konsultation möchten wir darauf hinweisen, dass für wettbewerbsfähige Netzentgelte weitere Lösungen, wie z. B. die teilweise Haushaltsfinanzierung der Netzkosten oder der Verzicht auf die teure Erdverkabelung gefunden werden müssen. Netz- oder Strommarkt-dienlichkeit darf dabei keinen absoluten Vorrang haben und nicht alleinige Voraussetzung für Kostenentlastungen sein.
2024_09_18_BfE_Stellungnahme_BNetzA-Konsultation_Netzentgelte
Die Verbände im „Bündnis faire Energiewende“ vertreten branchenübergreifend mehr als
10 000 deutsche Unternehmen mit ca. einer Million Beschäftigten und etwa 200 Milliarden Euro Jahresumsatz.
Der Querschnittsverband VEA Bundesverband der Energieabnehmer vertritt zudem etwa 4.500 Unternehmen aus allen Branchen.